Bauen in Nepal
Holger Neuwirth


Lehrveranstaltung AK Revitalisierung

DIE SHERPA - IDEE UND FORM IHRES LEBENSRAUMES

VORWORT
ELEMENTE DER RÄUMLICHEN ORDNUNG
NATÜRLICHE UMWELT UND MENSCHLICHE EXISTENZ
NEPAL
DIE SHERPA
GESCHICHTE
GESELLSCHAFT
WIRTSCHAFT
ARCHITEKTUR
DAS WOHNHAUS UND SEINE UMGEBUNG
KULTBAUTEN
WANDEL
QUELLEN

 

VORWORT
Im Sommer 1975 hatte ich erstmalig die Gelegenheit zu einem Indienaufenthalt, dessen eigentliche Zielsetzung - eine Bauaufnahme in Sikkim - dem Ausnahmezustand zum Opfer gefallen ist. Den Schwerpunkt bildete dann ein längerer Aufenthalt in Westbengalen (Kalkutta, Santiniketan), Bihar (Bodhgaya, Varanasi / Benares) und schließlich in Nepal (Kathmandu-Tal, Khumbu-Region).


ELEMENTE DER RÄUMLICHEN ORDNUNG

Die, zwischen natürlicher Umwelt, menschlicher Existenz und Architektur bestehenden Übereinstimmungen gewährleisten die Semantik des Ganzen und der Teile. Die architektonische Sprache muß Teil der Gesamtausdrucksmittel sein, wenn sie ihren Sinn nicht verlieren will. Diese Übereinstimmungen verraten auf dem Gebiet der kollektiven und individuellen Ausdrucksweise den Wunsch nach einer "GLOBALEN DEUTUNG DER WELT". Semantisch betrachtet ist das stärkste Band, die Erinnerung an die als Mythos erlebte "GESCHICHTE" und "WISSENSCHAFT". Aber nur scheinbar handelt es sich um eine ausschließlich mythische Dimension. Gerade die Erfordernisse der Ernährung und des Zusammenlebens machen die "ARCHITEKTUR DES TERRITORIUMS" notwendig, um ständig die Wege und Brücken, die Wasserversorgung, die Weide- und Anbauflächen zu sichern und Streitigkeiten mit anderen Gruppen zu vermeiden. In diesem Sinne muß jeder landschaftliche Umgestaltungseingriff Teil eines bedeutsamen Ganzen sein.


NATÜRLICHE UMWELT UND MENSCHLICHE EXISTENZ

NEPAL:
Das heutige Nepal ist von größter topografischer Vielfalt und reicht vom Dschungel und den Sümpfen des Terai im Süden (tropische Zone, ca.100m über dem Meer) bis zum Hauptkamm des Zentralhimalaya (höchste Erhebung 8848m über dem Meer), bei nur annähernd 160km Luftlinie in Nord-Süd-Richtung. In Ost-West-Richtung beträgt die Ausdehnung ungefähr 800km. Zwei Drittel des Landes sind gebirgig (Fig.1/2).


Fig. 1: Nepal und seine Anrainerstaaten. / Fig. 2: Schnitt durch Nepal in Nord-Südrichtung.

Bei einer Gesamtbevölkerung von ca. 8,5 Millionen Einwohnern sind die Talbewohner hauptsächlich indo-arischer Abstammung (Anhänger des Hinduismus) (01) und ihre Sprache leitet sich vom Sanskrit ab. Die Bergbewohner im Norden sind mongolischer Abstammung (Buddhisten), ihre Sprache gehört den tibeto-burmesischen (einem Zweig der sino-tibetischen ) Sprachen an. Offizielle Landessprache ist Nepali, eine indo-arische Sprache, die dem Hindi (Indien) ähnlich ist.
Das Kernland von Nepal, das schon in der Antike besiedelt war (erste Erwähnung von Nepal - genannt NAIPALIKAM - im 2.Jahrhundert vuZ) und bis zum 18.Jahrhundert nuZ den politischen Grenzen des Staates entsprach, ist ein vom Baghmati bewässertes und von Gebirgszügen eingeschlossenes Talbecken (Kathmandu-Tal, 1300m über dem Meer) (02). Die geografische Lage des Kathmandu-Tales bot über die Jahrhunderte Schutz gegenüber den großen Nachbarreichen Indien und Tibet.
Innerhalb der Grenzen des heutigen Nepal wurde 563 vuZ in Kapilavastu (heute Tiraulakot) aus dem Geschlecht der Shakya-Fürsten SIDDHARTA SHAKYAMUNI, der spätere GAUTAMA BUDDHA, geboren. Von der frühen Ausbreitung des Buddhismus in Nepal legen im Kathmandu-Tal die Stupas in Patan (3.Jhdt. vuZ) (03), Svayambunath (04/05)und Bodhinath (06/07) Zeugnis ab.

DIE SHERPA:
Im Nordosten von Nepal, zu Füßen der höchsten Gipfel unseres Planeten (Sagarmatha/ Tschomolungma/Mount Everest 8848m (14/47), Lhotse 8501m (12/13), Makalu 8475m, Cho Oyu 8153m) und entlang der südlichen Vorberge des Himalaya, befinden sich drei große Flußtäler: Khumbu, Solu und Pharak, die den hauptsächlichen Lebensraum der meisten Sherpa bilden. Die westlichsten Wohngebiete befinden sich nördlich von Kathmandu in der Helambu-Region (Fig. 3).
Die Sherpa sind aber nur eine der Bevölkerungsgruppen (neben den Mugu, Dolpo, Thaka und anderen) (08/09/10), die die südlichen Vorberge des Himalaya bewohnen. Als Bergführer, Köche und Träger sind sie bei allen Hochgebirgsexpeditionen im Himalaya unersetzlich (4) und mit der Erstbesteigung des Mount Everest im Jahr 1953 durch Edmund Hillary aus Neu Seeland und den Sherpa Tenzing Norgay wurden sie auch international bekannt.


Fig. 3: Siedlungen und Berggipfel der Khumbu-Region.

Sie sind Abkömmlinge der Tibeter, sowohl nach ihrer Kultur, als auch nach ihrem ethnischen Ursprung. Ihr Siedlungsgebiet in einer rauhen Gebirgswelt (bis 5000m über dem Meer) entspricht dem der Tibeter (5/6). Bei einer Bevölkerung von ca. 14000 Einwohnern besitzen sie eine Umgangssprache (ohne Schrift) "Sherpa" von tibeto-burmesischen Ursprung; aber ebensogut sprechen sie tibetisch und meist auch "Nepali", die offizielle Landessprache. Das Wort SHERPA leitet sich von zwei tibetischen Wörtern ab: "SHAR" heißt "Osten" und "PA" (ein Suffix) bedeutet "EINER VON"; Sherpa ist "EINER, DER VON OSTEN KOMMT" (11).

GESCHICHTE:
Nach seiner Ausbreitung in Indien gelangt der Buddhismus im 7. Jahrhundert nuZ nach Tibet, wo er die bestehende Bon-Religion zurückdrängt oder in seine Lehren integriert. Die ursprüngliche Bon-Religion war eine animistisch-schamanistische Religion, die in ganz Innerasien praktiziert wurde. In ihr sind die Naturphänomene (Berge, Wolken, Blitz, Wasser u.a.) durch eine innewohnende Macht oder mit einer treibenden Kraft beseelt. Für Tibet wurden die Lehren des MAHAYANA (großes Fahrzeug) mit dem Bodhisattva-Ideal, die ein neues Pantheon brachten in das die vorbuddhistischen Lokalgottheiten als Schutzgötter (18) vereinnahmt wurden und der TANTRISMUS, eine esoterische Form des Buddhismus, bestimmend.
PADMASAMBHAVA (Guru Rinpoche) (15), ein indischer Asket und Tantriker kam durch eine Einladung des tibetischen Königs im 8. Jahrhundert nuZ mit Manuskripten nach Tibet, wo er mit der Gründung des ersten Klosters in SAMYE dem Buddhismus zum Durchbruch verhilft und die ersten Mönche ordiniert. Diese heroischen Taten der Vergangenheit werden alljährlich in Khumbu beim Tanzdrama MANI-RIMDU (verwandt dem tibetischen CHAM), das alternierend in einem der Klöster von Mönchen dargeboten wird, erneuert.
Nach der Invasion des Islam ab dem 12. Jahrhundert nuZ in Indien und im Kathmandu-Tal wird Tibet zum Bollwerk des Buddhismus (Lamaismus) und zum Hüter der Tradition und des Schrifttums. Von Tibet aus dringt der Buddhismus in die Bergregionen des heutigen Nepal. Es gibt bei den Sherpa kaum überlieferte exakte Geschichtsdaten und man weiß nicht genau, wann sie aus Tibet nach Khumbu kamen. Man nimmt aber an, daß die Stammessippen der Sherpa etwa im 15. Jahrhundert nuZ aus KHAM, ihrer ost-tibetischen Urheimat, nach Südtibet zogen und in der Folge bis zum 17. Jahrhundert nuZ die Solu-Khumbu-Region besiedelten. Eine mögliche Erklärung bieten die Wirren des 16. Jahrhunderts in Tibet, als die reformierte Sekte der GELUGPA die Dominanz über die unreformierten Sekten (NYINGMAPA u.a.) erlangte und manche die Emigration der Unterwerfung unter die Reform vorzogen, um ihre religiöse und politische Unabhängigkeit zu wahren.
Viele Sherpa glauben, daß ihre Vorfahren im Westen des Himalaya Nepal erreichten und dann ostwärts bis Solu und Khumbu wanderten. Eine andere Legende erzählt, daß sie von Tibet direkt nach Khumbu über den NANGPALA-Paß (5716m über dem Meer) auf einer der Haupthandelsrouten zwischen Indien / Nepal und Tibet / China gekommen sind.
Als echte Sherpa gelten strenggenommen diejenigen, die in direkter väterlicher Linie von den ersten, von 1530 bis 1600 nuZ eingewanderten Sippen abstammen; das sind die CLAN-SHERPA. Fast 90% aller zum Sherpa-Volk gehörenden Bewohner von Solu-Khumbu besitzen die Clanzugehörigkeit einer dieser ältesten Sippen. Zu diesen echten Sherpa werden heute ebenfalls die Vertreter der neueren Clans gerechnet, deren Vorfahren erst um das 17. Jahrhundert nuZ nach Khumbu, vereinzelt auch nach Pharak, einwanderten.

GESELLSCHAFT:
Das Leben in der Sherpa-Gemeinschaft ist vom Kampf um die tägliche Existenz geprägt. Der Luxus von Freizeit und Muße betrifft nur Einzelne. Ihre Kinderliebe und Geselligkeit werden oft gerühmt und neben den großen Festen (Neujahr, Mani-Rimdu u.a.) wird jede Gelegenheit genützt, die Abendstunden am Herdfeuer gemeinsam plaudernd, singend und tanzend bei CHANG (Bier) und RAKSHI (Schnaps) zu verbringen.
Der zunehmende Tourismus führt leider dazu, daß die früher selbstverständliche spontane Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft - Ausdruck ihres Selbstbewußtseins und ihrer Unabhängigkeit - ausgerottet werden.
Soziale Grundeinheit ist die Familie. Neben den schon erwähnten Clan-Sherpa, die sich in eigene Kultgemeinschaften gliedern (Clan-Dörfer im Solu-Gebiet, eigene Clan-Schutzgottheiten), gibt es Pseudo-Clans von später zugewanderten Familien, die aber rein äußerlich voll integriert sind.
Spätere Einwanderer aus Tibet werden als KHAMPA (Leute aus Kham) bezeichnet; sie besitzen keine echten Clan-Namen. Außerhalb der Sherpa-Gesellschaft stehen die KHAMINDU (Menschen ungleichen Mundes), die einen sozial geringeren Status haben. Für Arbeiten, die gegen die Lehren des Buddhismus verstossen (Schlächter, Schmied u.a.), gibt es zugewanderte Hindus der niedersten Kaste, die am Rand oder außerhalb der Sherpa-Gemeinschaft siedeln. Obwohl die Sherpa das Töten jeglicher Kreatur verabscheuen, fühlen sie keine Hemmung Fleisch zu essen, wenn die Tiere umgekommen sind.
Generell ist das Zusammenleben von großer Toleranz geprägt. Als Buddhist weiß sich der Sherpa dem Gesetz des KARMA (dem Kreislauf der Wiedergeburten) unterworfen. Alle Handlungen, die er im Laufe seines Lebens setzt, bestimmen seine nächste Wiedergeburt. Die verdienstvollen Taten (das Bauen und Umschreiten der MANI-Mauern, das Rezitieren von MANTRAS, das Drehen der Gebetsmühlen, Nächstenhilfe u.a.) schaffen günstigere Voraussetzungen. Für die Gesellschaft bleiben aber Handlungen, die keinem anderen Schaden zufügen, neutral.
Jeder Sherpa-Clan verehrt eine besondere Schutzgottheit, die meist mit einer landschaftlichen Gegebenheit ident ist. Die bedeutendste Schutzgottheit in Khumbu ist der KHUMBUI YUL LHA (5761m überdemMeer), ein Gipfel nahe Khumjung. Die anderen Clangottheiten, wie LHOTSE, TABOCHE, TSCHOMOLUNGMA (Mount Everest), aber auch Seen und Täler, sind von  geringerer Bedeutung (Fig. 3). Der wichtigste  Heilige, aber auch Kulturheros, ist PADMASAMBHAVA (Guru Rinpoche). Seine Gestalt und seine heroischen  Taten gehören zu den zentralen Themen der bildlichen Darstellung (15).
Hüter der Schriften und der Tradition sind die Klöster (THAME und TENGPOCHE in der Khumbu-Region), deren Mönche größtenteils der NYINGMAPA-Sekte angehören; diese Klöster werden vor allem bei den großen religiösen Festen aufgesucht. Für den religiösen Alltag gibt es eigene Kulträume (GOMPA) in einzelnen Dörfern (PANGPOCHE u.a.), in größeren Häusern auch private Kulträume.
Außerhalb der Religion gibt es kaum eine künstlerische Betätigung und jedes Kunstwerk steht im Dienste der Vertiefung und Verbreitung der Lehre (16/17). Daher ist für den Maler eine genaue Kenntnis der lamaistischen lkonographie Voraussetzung. Diese Religion hat aber in Nepal keinen direkten Einfluß auf die staatliche Gerichtsbarkeit.

WIRTSCHAFT:
Ackerbau, Viehzucht und Milchwirtschaft bilden neben dem Handel die Existenzgrundlage der Sherpa. Im wärmeren Solu und auch in Pharak werden zu den im Sommer wachsenden Kartoffeln noch Buchweizen und Mais, zusätzlich Winterweizen und Wintergerste angebaut. Im hochgelegenen Khumbu, wo die Erde ein halbes Jahr gefroren ist, gibt es nur eine Anbauzeit (Kartoffel, Buchweizen, Gemüse und Gerste). Die Kartoffel, die bis in Höhen von 4500m über dem Meer angebaut wird und eine der Haupternährungsquellen geworden ist, wurde erst während der englischen Kolonialherrschaft in Indien, von Darjeeling aus eingeführt. Die traditionelle Hauptnahrung ist TSAMPA (zu feinem Mehl gemahlene geröstete Gerste).
Während der Zeit der Feldbestellung müssen die Sherpa in Khumbu beweglich sein um die verstreut liegenden Felder zu bewirtschaften. Viele Familien besitzen mehrere Häuser und wechseln den Wohnsitz nach Bedarf. Im Sommer wird auf den Hochweiden Almwirtschaft betrieben (38).
Die wirtschaftlich bedeutendsten Haustiere der Sherpa sind Rind, Yak (21) und deren Kreuzungen. Es gibt viele Yak, vor allem in Khumbu, die als Last- und Arbeitstiere dienen, aber auch Milch, Käse, Fleisch und Wolle liefern. Jungtiere werden nach Tibet oder nach Solu und Pharak verkauft. Fast jede Familie besitzt einen oder mehrere Hunde; Ziegen und Schafe sind nicht sehr häufig. Pferde, Hühner, Katzen und Bienenzucht sind selten anzutreffen.
Handelsreisen zu den südlichen Märkten in Nepal und Indien dauern oft über neun Monate. Der freie Handel mit Tibet (Jungtiere, Reis und andere Lebensmittel gegen Salz, Tee und Gebrauchsgegenstände), früher von großer Bedeutung, ist in den letzten zwanzig Jahren fast zur Gänze zum Erliegen gekommen. Eine Ersatzerwerbsquelle brachten die Bergsteigerexpeditionen, die die Sherpa als Träger, Köche und Bergführer verpflichten (30% bis 50% der Jahreseinnahmen) und der Tourismus, allerdings aber die Abhängigkeit gegenüber der Regierung in Kathmandu verstärken. Die Lasten werden auf dem Rücken (Körbe oder Traggestell) getragen und mittels Stirnband gehalten (19/20). Als Lasttier wird größtenteils der Yak eingesetzt.
Das Zimmermannshandwerk steht in hohem Ansehen und wird gewöhnlich vom Vater auf einen der Söhne vererbt (22). Wie fast alle Sherpa sind auch die Zimmerleute zunächst Bauern und Viehzüchter und üben ihr Handwerk nur während der Bausaison (nach der Ernte) aus. Sie verrichten praktisch beim Hausbau alle anfallenden Arbeiten. Auch das Mauerwerk (zumeist Trockenmauern aus Stein) und der Innenausbau wird von ihnen bewerkstelligt. Bis in die jüngste Vergangenheit wurden fast alle Gebrauchsgüter in der Sherpa-Gemeinschaft selbst hergestellt.

ARCHITEKTUR
DAS WOHNHAUS UND SEINE UMGEBUNG:

Die meisten Sherpa-Häuser sind zweigeschoßig und vereinigen Wohnteil, Stall und Abstellraum unter einem Dach (Fig.4). Die Häuser sind nicht unterkel!ert. Der Wohnteil besteht aus einem großen Raum mit offener Feuerstelle, liegt meist im Obergeschoß und ist von Stall und Abstellraum getrennt. Neben der Feuerstelle sind hier ein Tisch mit Sitzbänken, Schlafplätze, Schrankwände und ein Hausaltar. Größere Häuser besitzen einen eigenen Kultraum, der auch als Gästezimmer Verwendung findet. Zwei Türen erschließen das Untergeschoß, der Aufgang in das Wohngeschoß erfolgt über den fensterlosen Abstellraum. Vereinzelt sieht man auch offene Torrahmen im Untergeschoß mit dahinter liegender Haustüre (23/26).

Fig. 4: Grundrisse und Axonometrie eines typischen Sherpa-Hauses.

Im Stall sind meist nur wenige Tiere untergebracht, er dient auch als Lagerraum für den Holz-, Heu- und Laubvorrat. Die Haustüren besitzen einen breiten Rahmen, der aus doppelten Holzlagen besteht, mit hoher Türschwelle. Der Sturz kragt über eine doppelte Balkenlage (kreuzweise verlegt) aus und ist mit Steinplatten oder Holzschindeln gedeckt. Manchmal ist er zu einem Vordach mit zwei Stützen erweitert. Die Fensteröffnungen bilden oft das einzige Schmuckelement des Hauses. Die häufigste Fensterform in Khumbu und Pharak läßt sich auf ein tibetisches Vorbild zurückführen. In Solu überwiegt der nepalische Einfluß. Das Fenster ist fast immer zwei- oder dreiteilig und besitzt einen Doppelrahmen. Das vom inneren Rahmen begrenzte Feld wird in 6 bzw. 9 Felder unterteilt. Die untersten Öffnungen werden mit Füllungsbrettern verschlossen, in die oberen Öffnungen werden Holzgitter eingesetzt, die ursprünglich auf der Innenseite mit Papier oder Stoff beklebt wurden. Heute werden Glasscheiben verwendet.
Es gibt eine große Anzahl von tradtionellen Gittermustern. Über dem Sturz befindet sich eine doppelte Reihe von auskragenden Balkenköpfen, die ein Vordach abstützen. Fenster von Kulträumen werden oft zusätzlich mit einem kurzen Stoffvorhang geschmückt, der am Vordach befestigt wird. Seltener ist eine trapezförmige Einfassung mit schwarzer Farbe, die ebenfalls tibetischen Ursprungs ist (43/44). Bei größeren Siedlungsverbänden sind die Häuser in Firstrichtung aneinandergebaut (Fig. 5), wobei sie meist den natürlichen Höhenschichtlinien folgen (32/37).


FIG. 5: Die Anordnung der Häuser folgt in Firstrichtung den natürlichen Höhenschichtlinien.

Beginnn und Abschluß des Hausbaues werden traditionell gefeiert. Die Wahl des Bauplatzes und die Lage des Hauses (günstigste Wetterseite) sind nicht so wichtig, während der Tag der Grundsteinlegung sorgfältig nach astrologischen Gesichtspunkten ausgesucht wird. Je nach Bodenbeschaffenheit wird für das Fundament entweder der gewachsene Fels geglättet  oder es werden ca. 1m tiefe Gräben ausgehoben und mit Steinen ausgelegt. Die Mauern werden aus Bruchsteinen mit Lehm als Bindemittel errichtet und fallweise mit Lehm verputzt und gekalkt. Für die Geschoßdecken werden Balken eingezogen. Auf ihnen liegt der Pfostenboden für den Wohnteil. Die Balkenlage über dem Wohnteil wird über einen Stützbalken auf einen freistehenden Holzstützpfeiler (KHA) übertragen, der meist besonders verziert ist.
Gegenüber dem tibetischen Haus mit Flachdach haben die Häuser der Sherpa-Region geneigte Dachflächen (ca. 25 Grade), die mit langen Holzschindeln gedeckt werden. Manchmal sieht man auch aus Bambus geflochtene Matten (BAG) (24/25). Die Dächer werden zusätzlich mit Steinen beschwert. In höheren Lagen findet man auch Steinplattendächer (36/60). Neben dem einfachen Satteldach sieht man oft eine Walmdachausführung im Traufbereich mit aufgesetzten Giebeldreiecken (Fig. 6) (27).


Fig. 6: Walmdach mit aufgesetzten Giebeidreiecken und ein Sommerhaus, die einfachste Form des Sherpa-Hauses.

Die Toiletten sind meist außerhalb der Häuser-, in höheren Lagen (Khumbu) aber auch neben dem Wohnraum im Obergeschoß mit einer Öffnung in einen eigenen Raum des Untergeschoßes, der mit Laub gefüllt ist.
Neben Einzelgehöften gibt es zahlreiche Streusiedlungen, Sommerdörfer, Hochalmen und größere Dörfer wie Namche Bazar (Wochenmarkt) (Fig. 7) (29/30/31/32/33), Kunde (Spital) (34) und Khumjung (35).  An den Wasserläufen gibt es Gemeinschaftsmühlen für die Dorfbewohner. Die Mühlsteine werden über eine senkrechte Achse von einem waagrecht angeordneten Schaufelrad angetrieben (26).
Steinmauern gliedern das Kulturland als Einfriedung zum Schutz der Felder, als Viehhürden und als Stützmauern im steilen Gelände (36/40). Von großer Bedeutung für das Gemeinwesen sind die Wege und Brücken, die in gemeinsamer Arbeit errichtet und instandgehalten werden (39). Die Brücken sind meist einfache, hölzerne Kragkonstruktionen, zwischen aus Steinen errichteten Brückenköpfen. Seltener findet man Hängebrücken. Alljährlich nach der Schneeschmelze bedarf es meist umfangreicher Ausbesserungsarbeiten um die Verbindungen zwischen den Dörfern und mit der Außenwelt aufrecht zu erhalten. Neben den Bauten, die die materielle Existenz gewährleisten, gibt es ein Netz von Bauten mit kultischer Bedeutung, die die Lehren und Ziele des Buddhismus auch nach außen repräsentieren.


Fig. 7: Namche Bazar (ca 3600m über dem Meer); eine der größten Sherpa-Siedlungen in der Khumbu-Region: 1 Gompa 2 Stupa 3 Gebetsmühle 4 Wassergebetsmühle 5 Torbau 6 Mani-Mauer 7 Wasserstelle 8 Felder und Gärten

KULTBAUTEN (41):
Für die religiösen Feiern und Rituale gibt es für die Dorfgemeinschaft eigene Kulträume (Gompa) in den größeren Siedlungen. Daneben gibt es auch private Kulträume in einzeInen Häusern. In der Khumbu-Region gibt es zwei Klöster: THAME und TENGPOCHE (42/43/44/45), die zwar kein hohes Baualter aufweisen, aber im traditionellen tibetischen Stil errichtet sind. Mittelpunkt des Klosters ist der Gompa. In TENGPOCHE besitzt er drei Geschoße (1. Geschoß: Gebetshalle, 2. Geschoß: Schriften, 3. Geschoß: Schutzgottheiten). Der geschlossene Vorhof mit quadratischem Grundriß schließt an die Hauptfront des Gompa an und wird an den drei restlichen Seiten von Nebenräumen (Küche, Vorrat u. a.) und dem Torbau eingefaßt (Fig. 8).

Fig. 8: Kloster in Tengpoche; Gompa mit Vorhof. Bei der Brandkatastrophe von 1989 wurden wertvolle Kulturschätze vernichtet. Die Klosteranlage wurde wieder aufgebaut.

Der Gompa selbst ist mit rotbrauner Erdfarbe bemalt, im Gegensatz zu den übrigen weiß gekalkten Gebäuden. Die Hauptachse liegt in Ost-West-Richtung. Man betritt den gepflasterten Hof an der Ostfront und erreicht über mehrere Stufen durch eine kleine Vorhalle mit dem Aufgang in die darüber liegenden Stockwerke, den eigentlichen Kultraum. Die Halle wird durch zwei Reihen von Holzstützen in drei Schiffe geteilt. Die Wände sind mit farbigen Darstellungen des buddhistischen Pantheons reich geschmückt. Dem Eingang gegenüber an der Westwand befindet sich die zentrale Buddhastatue.
Bauweise und Baumaterial sind die gleichen wie bei den Wohnhäusern, die einzelnen Elemente sind aber reicher verziert. Eine Besonderheit stellt die rotbraune Bemalung der Außenfront und die reiche und sorgfältige Innendekoration dar. Darüber hinaus besitzen die Bauwerke mit kultischer Bedeutung meist einen breiten schwarzen Fries als Mauerabschluß unter der auskragenden Traufe (43). Ursprünglich aus einer Lage schwarz gefärbter Rutenbündel bestehend, zwischen Holzrost und Rundbalkenlage, ist er meist nur zitathaft aufgemalt. Am höchsten Punkt, meist in der Mitte des Firstes werden die Kultbauten von einem vergoldeten Miniaturstupa bekrönt. Um den Gompa gruppieren sich die einfachen Häuser der Mönche im traditionellen Stil. Mit zum Klosterbereich gehören auch ein Stupa (Tschörten) (46), eine Gebetsmühle (Mani), ein offener Torbau mit Mandala (mystisches Diagramm / Fig.9) (54) und Mani-Mauern.

Fig. 9: Im Zentrum des hier abgebildeten Mandalas erscheint MANJUSHRI, der Bodhisattva der Weisheit.

Ein STUPA (tibetisch TSCHÖRTEN) ist ursprünglich ein Grabhügel und tritt in Indien schon in vorbuddhistischer Zeit auf. Später wurde die erweiterte Form des Stupa als Reliquienbehälter und Verehrungsobjekt verwendet. Die ursprünglich indische Form (Fig. 10) wurde in Tibet dahingehend verändert, daß der lamaistische Stupa auf einem Thron steht. Darüber bauen sich dann die Stufen und die glockenförmige Kuppel mit der Spitze aus Scheiben, Schirmen und der Bekrönung auf (Fig.11). Die Tschörten werden aus Stein gemauert, mit Lehm verputzt und weiß gekalkt. Sie sind immer Reliquienbehälter, besitzen eine komplexe symbolische Bedeutung und werden nach ganz bestimmten Maßen ausgeführt (46/48/49/50/51).

Fig. 10: Nepalische (indische) Form des Stupa mit Halbkugel, Würfel und Stufenpyramide. / Fig. 11: Tibetische Form des Stupa (Tschörten) mit Thron, glockenförmiger Kuppel und Kegelaufsatz.

Neben den bekannteren Handgebetsmühlen gibt es große Gebetsmühlen (MANI) im Bereich der Dörfer und Klöster. Das sind meist eigene Häuser, die im Inneren einen großen, mit auf Papierrollen geschriebenen Mantras (mystische Gebetsformel) gefüllten Holzzylinder mit senkrechter Achse besitzen (Fig. 12).
Die größeren Mani-Häuser sind innen mit prächtigen Wandmalereien der lamaistischen lkonografie geschmückt. Durch das IN-BEWEGUNG-SETZEN der Mantras werden Verdienste gesammelt (52). Direkt über Wasserläufen werden auch Wassergebetsmühlen (MANI CHUNKOR), oft mehrere hintereinander, errichtet, die durch ein auf der senkrechten Achse montiertes Wasserrad in ständiger Bewegung gehalten werden (53/57/58/59). Vor dem Betreten des Orts- oder Klosterbereiches durchschreitet man einen offenen Torbau mit einer Mandala-Darstellung auf der Holzdeckenuntersicht (Fig. 9 / Fig.13) (54).

Fig. 12: Gebetsmühle (Mani) mit Fries und Miniaturstupa. Fig. 13: Offener Torbau mit Miniaturstupa.

An markanten Punkten entlang der Wege, am Rande der Ortschaften und im Bereich der Tschörten trifft man auf die Mani-Mauern. Diese werden aus Steinplatten mit eingemeißelten Mantras (am häufigsten findet sich die mystische Formel: OM MANI PADME HUM)  (Fig. 14) (56)  aufgeschichtet. Der Weg gabelt sich immer und nimmt die Mani-Mauer in die Mitte, sodaß man aus jeder Richtung links passieren kann. Verdienstvoller ist das Umwandeln im Uhrezeigersinn bei gleichzeitigem Rezitieren der Mantras (55). Diese Mauern dienen aber auch den Trägern als Rastplatz, zum Aufstützen der Lasten ohne diese abnehmen zu müssen.

Fig. 14: OM MANI PADME HUM; mystische Gebetsformel (Mantra). Fig. 15: Windpferd mit flammenden Juwel 

Auf vielen Sherpa-Häusern, jedoch auch auf Bergkuppen, an Pässen und Brücken sieht man mit weißen, aber auch farbigen Wimpeln behängte Zweige, die alljährlich im Frühjahr vom ersten Grün ungiftiger Sträucher den Berggöttern als Opfer dargebracht werden. Bei den Häusern werden sie an den beiden Firstenden aufgesteckt und den First entlang mit Wimpeln verbunden. Meist sind es Gebetsfahnen, die mit Mantras bedruckt sind. Wenn sie mit dem Windpferd bedruckt sind, sollen sie die Kraft und Energie der Hausbewohner erhöhen (Fig. 15). Vor den Gebäuden aufgestellte Fahnenmaste tragen ebenfalls Gebetsfahnen oder sollen für ein Neugeborenes Glück bringen (23/26).

WANDEL:
In den letzten Jahren wurden für die zahlreichen Expeditionen und für den steigenden Tourismus Flugplätze angelegt und die ersten Hotels im Landesinneren gebaut (Lukla, Khumjung) (43). Auf besonderen Wunsch der Sherpa-Bevölkerung wurde von Sir Edmund Hillary über eine internationale Spendenaktion ein umfangreiches Schulprogramm in die Wege geleitet; in Kunde wurde ein Krankenhaus installiert. Damit sollen vor allem die Chancen der Sherpa-Bevölkerung für eine sinnvolle Anpassung an die sich ändernden Umweltverhältnisse erhöht werden (47/48).

QUELLEN:
BUSSAGLI Mario: "Architektur des Orients", C 1975 / Belser Verlag Stuttgart
GUIDONI Enrico: "Architektur der primitiven Kulturen", C 1976 / Belser Verlag Stuttgart
HILLARY Edmund: "Wer wagt, gewinnt", C 1976 / Gustav Lübbe Verlag
JERSTAD Luther G.: "Mani-Rimdu", C 1969 / University of Washington Press
SCHMIDT-THOME Marlis und TSERING T. THINGO: "Materielle Kultur und Kunst der Sherpa", C 1975 / Universitätsverlag Wagner Innsbruck/München
TUCCI Guiseppe und HEISSIG Walther: "Die Religionen Tibets und der Mongolei", C 1970 / Verlag W Kohlhammer
Fotos: H. Neuwirth 1975 / 1980 / 1985


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Vortrag in der Reihe
"Natives Bauen" 
an der TUG 
Institut für Hochbau
März 1978