TUGraz Bericht 1999/2000
Holger Neuwirth

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Paris - Bologna - Prag

Article 26*
*) UNO / The Universal Declaration of Human Rights (passed on December 10th 1948 at Paris, France)

1. Everyone has the right to education. Education shall be free, at least in the elementary and fundamental stages. Elementary education shall be compulsory. Technical and professional education shall be made generally available and higher education shall be equally accessible to all on the basis of merit. 
2. Education shall be directed to the full development of the human personality and to the strengthening of respect for human rights and fundamental freedoms. It shall promote understanding, tolerance and friendship among all nations, racial or religious groups, and shall further the activities of the United Nations for the maintenance of peace. 
3. Parents have a prior right to choose the kind of education that shall be given to their children. 

Wie die Ouverture zum Aufbruch in ein drittes Jahrtausend der Bildung liest sich heute der Artikel 26 der "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen" von Paris. Ein halbes Jahrhundert später anlässlich des 800-jährigen Bestehens der Universität Sorbonne in Paris wird am 25. Mai 1998 von 4 europäischen Bildungsministern die "Gemeinsame Erklärung zur Harmonisierung der Architektur des europäischen Hochschulsystems" unterzeichnet, die eine kontroversielle Diskussion auslöste. Bei der Nachfolgekonferenz in Bologna wurde am 19. Juni 1999 die gemeinsame Erklärung "Der gemeinsame europäische Hochschulraum", in der konkrete Fördermaßnahmen und Instrumente für deren Umsetzung angeführt werden, von den Bildungsministern von insgesamt 29 Ländern unterzeichnet.
Die von diesen Konferenzen ausgelöste Reformdiskussion und daraus abzuleitende Fortschritte sollen im Mai 2001 in einer Folgekonferenz in Prag behandelt werden.
Es kann kein Zufall sein, daß auch der "genius loci" einen Teil zu den gemeinsamen Erklärungen beiträgt.

"Der Weg von Unklaich nach China"; Paul Klee / 1920

Ein "Europäischer Hochschulraum"
Die bestehenden Strukturen der Höheren Bildung in Europa sind gekennzeichnet durch die Komplexität und Unterschiedlichkeit der Studienpläne, Studienabschnitte und Studienabschlüsse. Vollzeit- und Teilzeitstudien werden nicht in allen Ländern differenziert angeboten. Viele Unterschiede resultieren bereits aus der Unterschiedlichkeit des sekundären Bildungsbereiches. Der tertiäre Bildungsbereich verteilt sich auf unterschiedliche Institutionen und nicht mehr allein auf den universitären Bereich. In zunehmendem Maße wird der Bildungsmarkt durch das Angebot auf dem Sektor der transnationalen Bildung mitbestimmt.

Noch größere Unterschiede ergeben sich beim Vergleich der durchschnittlichen tatsächlichen Studiendauer (s.u. Guy Haug p.20:....... A major trend can be noticed in many countries is a governmental push towards the reduction of the real duration of studies. Denmark and Austria seem to disagree about who has the "slowest" students on earth,...). Als mögliche Ursachen  für die lange Studiendauer werden enzyklopädische Studienprogramme, Arbeitslosigkeit, Teilzeitarbeit u.a. angeführt. Als Konsequenz werden an erster Stelle hohe drop-out Raten in den ersten Studienjahren und ein später Eintritt der AbsolventInnen in den Arbeitsmarkt mit verminderten Wettbewerbsvoraussetzungen genannt.

In einigen Ländern haben die Regierungen auf unterschiedlichen Ebenen aktive Maßnahmen zur Studiendauerverkürzung gesetzt und erste Erfolge erzielt. In indirektem Zusammenhang ist auch die vermehrte Tendenz in Europa zur Einführung eines dreistufigen Systems (bachelor and master degrees, doctoral degree) zu sehen. Auch Österreich hat dieser Entwicklung im UniStG (Stand:1. September 1999) Rechnung getragen, ebenso in Bezug auf das ECTS-System und den Diplomzusatz (diploma supplement). .Die Weiterentwicklung zu einem "credit accumulation system", mit dem alle Formen des Lernens einschließlich des "Lebenslanges Lernens" berücksichtigt werden können, ist in Ausarbeitung.

In vielen Ländern zeichnet sich eine Entwicklung zur größeren Autonomie der Universitäten ab. In direktem Zusammenhang werden parallel Maßnahmen und Methoden der Qualitätssicherung und Evaluierung entwickelt. Hier ist Österreich mit der Einführung des UOG93 und mit der laufenden Diskussion zur Vollrechtsfähigkeit aktiv beteiligt.

Im Hinblick auf einen europäischen Arbeitsmarkt und dem bestehenden Niederlassungsrecht der GemeinschaftsbürgerInnen wird eine Evaluierung der Berufsfelder notwendig sein, die für einzelne Disziplinen und nicht für Institutionen Standards in einer "Europäischen Dimension" setzt. Im Zuge dieser Entwicklung gewinnen neue Formen des Lernens und Lehrens zunehmend an Bedeutung in Verbindung mit der notwendigen Transparenz und Qualitätssicherung. Mobilität der Studierenden und Lehrenden wird dann zur notwendigen Strukturmaßnahme, die diese neuen Lern- und Lehrformen verwirklicht und zugängig macht.

Die schon in der Sorbonne-Erklärung betonte Schlüsselrolle der Hochschulen für die Entwicklung einer europäischen kulturellen Dimension bedarf eines "Europäischen Hochschulraumes", der nach den bestehenden Vorgaben in der ersten Dekade des 3. Jahrtausends verwirklicht werden soll. 

Die TU Graz
1992 mit der Möglichkeit der Teilnahme Österreichs am Erasmus-Programm war auch die Teilnahme am Pilotprojekt ECTS in der Fachrichtung Maschinenbau verbunden. Diese Beteiligung erbrachte die Voraussetzungen, die 1995 zur Einführung des ECTS-Systems als mobilitätsfördernde Maßnahme für alle Diplomstudien an der TU Graz führten. Im System enthalten ist die Informationsaufbereitung der Studienrichtungen mit allen Lehrveranstaltungen, ein Semesterpläne mit der Bemessung des Arbeitsaufwandes (workload der Studierenden) pro Semester für die zeitgerechte Absolvierung des Studiums mit allen erforderlichen Angaben, die für ein ernsthaftes Studium (UniStG §29 Abs.2) nötig sind (Ort und Zeit, Prüfungsmodus, Unterlagen und Voraussetzungen etc). Dazu kommen alle Formulare und der Studienvertrag, die für einen erfolgreichen Studierendenaustausch Voraussetzung sind. Untrennbar verbunden mit der Mobilität ist die Anerkennung der erbrachten Leistungen, die im Studienerfolgsnachweis festgehalten werden.

Mindestens einmal im Jahr im Rahmen der Lehrveranstaltungserhebung müssen die Informationen auf ihre Gültigkeit überprüft werden. Die Informationen für das kommende Studienjahr müssen rechtzeitig im Netz eingesehen werden können, damit sich Gaststudierende für ein Studium an der TU Graz entscheiden können. Für diese Aufgabe wurde 1997 an der TU Graz begonnen, ein edv-unterstütztes Informationssystem zu entwickeln (TUG online), das laufend durch zusätzliche Komponenten (Werkzeuge) erweitert wird. Im Hinblick auf die Datenmenge ist die dezentrale Dateneingabe an der Stelle entscheidend, wo die Information erstmalig vorliegt. Mit Beginn des Studienjahres 2000/2001 steht der Studien- und Prüfungsabteilung ein neues Prüfungsverwaltungsprogramm zur Verfügung.
Damit sind an der TU Graz, die als einzige österreichische Universität am Pilotprojekt "Diploma Supplement" teilgenommen hat, wesentliche Voraussetzungen erfüllt, in naher Zukunft allen AbsolventInnen einen Diplomzusatz auszustellen. Es fehlen derzeit noch die elektronische Erfassung der Anerkennungsbescheide der Studienkommissionen für einen vollständigen Studienerfolgsnachweis und als ein erster Schritt zum "credit accumulation system" die Erfassung und Bewertung der im Rahmen von Leonardo erbrachten außeruniversitären Zusatzqualifikationen.

Im Rahmen der Studienplanreform (UniStG 1997) müssen die neuen Studienpläne bis 1. 10. 2002 inkrafttreten. Hauptziele der Reform sind u.a. vor allem eine Annäherung der durchschnittlichen Studiendauer an die Regelstudienzeit (Struktur) und in Bezug auf die Inhalte die Erstellung arbeitsmarktrelevanter Qualifikationsprofile. Die Studienkommissionen an der TU Graz haben sich strukturell und inhaltlich studienrichtungsrelevant für unterschiedliche Modelle entschieden: 2-stufiges Diplomstudium, 3-stufiges Diplomstudium, 3-stufiges Diplomstudium mit der Möglichkeit einer späteren Umwandlung in ein Bakkalaureats- und Magisterstudium, 3-stufiges Bakkalaureats- und Magisterstudium, 2-stufiges Lehramtsstudium. Die meisten Studienpläne für das Doktoratsstudium liegen vor. Erste Modelle für eine begleitende Evaluierung und Qualitätssicherung sind in Entwicklung.

Damit hat die TU Graz erste wesentliche Schritte auf dem Weg in einen Europäischen Hochschulraum gesetzt und wird auch in Zukunft die notwendigen Anstrengungen unternehmen diesen Weg zielgerichtet und aktiv zu verfolgen um auch unseren "genius loci" im Kreis der europäischen Universitäten wirksam werden zu lassen.

Quellen:
"Paul Klee / Das Frühwerk 1883-1922; Städtische Galerie im Lenbachhaus, München 1979/1980
"Der Europäische Hochschulraum / Erklärung der Europäischen Bildungsminister / 19.6.1999, Bologna" und
Guy Haug: "Trends and Issues in Learning Structures in Higher Education in Europe"; Beiträge zur Hochschulpolitik 1/2000; HRK/Bonn, Februar 2000

C2000 Technische Universität Graz / ISBN 3-901351-38-8