Bauaufnahme
und Bauwerksanalyse
Holger Neuwirth |
Für die architektonische Gestaltung und für die technische Realisierung, damit auch für die denkmalpflegerische Erhaltung und Revitalisierung, im Zusammenmhang mit bestehenden Gebäuden und größeren Ensembles ist die exakte Bauaufnahme des "ISTZUSTANDES", das Quellenstudium und eine aus beiden resultierende Bauwerksanalyse unbedingte Voraussetzung. Unter Bauaufnahme versteht man im allgemeinen alle Parallelprojektionen (Horizontal und Vertikal/Grundrisse, Schnitte und Ansichten) in definierten Maßstäben die den Istzustand eines bestehenden Bauwerkes nachvollziehbar wiedergeben. Der überwiegende Teil der Fachliteratur, aber auch die bestehenden Planarchive, verwenden noch immer Planunterlagen, die Nachzeichnungen von Bauaufnahmen des 19. Jahrhunderts sind oder deren Genauigkeit schon bei der Aufnahme vernachlässigt wurde. Damit sind sie aber das Produkt von überholten Anschauungen oder unter Berücksichtigung der Entwicklung der Meß- und Darstellungsmethoden nicht den derzeitigen Möglichkeiten entsprechend. Abgesehen davon, daß die Darstellungsmethoden durch den EDV-Einsatz einem grundlegenden Wandel ausgesezt sind und noch werden. Beim Aufmaß ist eine durch Jahre erprobte Zusammenarbeit der Geodäten und Architekten (Meßtechnik/Fixpunkte und Darstellung / Interpretation) in meinen Augen unbedingte Voraussetzung. Bauaufnahmen die in Archiven gelagert werden sind aber wertlos, wenn sie nicht als Grundlage für eine Bauwerksanalyse herangezogen werden, die ihrerseits die Grundlage für alle weiteren Planungsschritte abgibt. Der Idealfall ist, wenn Aufnahme und Analyse in einem durchgeführt werden, direkt aufeinander abgestimmt werden können und nahtlos in die Planung des "SOLLZUSTANDES" (NUTZUNG / STANDFESTIGKEIT / ERSCHEINUNGSBILD) münden. Ein Prozeß, der auf Grund der unterschiedlichen Wissensbereiche als Teamarbeit ablaufen muß. In der Denkmalschutz-Charta von Venedig 1964 wird die Rolle der Dokumentation und Veröffentlichung bei allen Planungs- und Sanierungsmaßnahmen ausdrücklich hervorgehoben. In der gegenwärtigen Praxis wird aber noch immer meist bestenfalls der erreichte Sollzustand dokumentiert, der vorangehende Istzustand jedoch nicht ausreichend, sodaß die Planungen und ihr Resultat weder nachvollzogen, noch kritisch beurteilt werden können und die Öffentlichkeit damit ausgeschlossen ist. Umso unverständlicher ist daher die Tatsache, daß diese Planungs- und Entscheidungsgrundlagen noch immer vernachlässigt werden; ein Umstand der sich nicht zuletzt darin beweist, daß bis heute in den entsprechenden Gebührenordnungen dafür keine ausreichenden Beträge vorgesehen sind. Aus dieser Tatsache läßt sich ein Methodenkatalog ableiten, den ich Ihnen in der gebotenen Kürze zur Kenntnis bringen möchte: 1) Vorausschauende exakte Dokumentation von "Istzuständen" vor der Einleitung von Planungs- und Sanierungsprozessen. 2) Darauf aufbauend eine Wert- und Sachanalyse nach Denkmal- und Wirtschaftlichkeitskriterien. 3) Festlegung der möglichen, bzw. künftigen Nutzungen. 4) Auf der Grundlage von Dokumentation, Analyse und sinnvoller Nutzung können die Planungs- und Sanierungsschritte für den "Sollzustand" eingeleitet werden. Zwei konkrete Beispiele sollen meine Ausführungen ergänzen: Als erstes Beispiel das Haus Grieskai 10 ("Greinitzhof") in der Schutzzone I der Grazer Altstadt, dessen Nutzung 1985 neu festgelegt werden mußte. Der exponierte Standort des Objektes, läßt dieses weit über den üblichen Rahmen hinaus für das Stadtbild wirksam werden. Die bau- und kulturhistorische Bedeutung der bestehenden Objekte (es handelte sich um eine heterogene Baustruktur) wurde in der vom Bundesdenkmalamt 1984 herausgegebenen Kunsttopografie ausführlich dargelegt. Als baukünstlerisch bedeutsam erwiesen sich nur die Kulissenfassade zur Belgiergasse und ein spätklassizistisches Stiegenhaus mit Sandsteinbüsten. Die städtebauliche Situation zeigte aber die Überlagerung zweier Entwicklungsphasen. Im Zuge der im vorigen Jahrhundert vorgenommenen Murregulierung kam es zur Anlage des westseitigen Murkais, dessen 4-geschossige Verbauung die ältere Struktur der barocken Murvorstadt verdeckt, deren Maßstab nur in den Häusern des Grieskai 10 zufällig erhalten blieb. Im Stadtgefüge bildete daher der "Greinitzhof" zufällig das letzte vermittelnde Element zwischen der mittelalterlichen Struktur der inneren Stadt und der barocken Murvorstadt (Abb.1). Abb.1: Der "Greinitzhof" in Graz vor der "Revitalisierung" (1985) Im Sinne einer lebendigen Altstadterhaltung und auf der Grundlage der in der Denkmalschutzcharta von Venedig geforderten zeitgemäßen Maßnahmen bei der Ergänzung bestehender Originalstrukturen muß das letztendlich realisierte Bauvorhaben unverständlich bleiben. Ein Abbruch wäre durchaus gerechtfertigt gewesen, wenn an dieser exponierten Stelle eine Lösung mit innovatorischem Charakter zur Ausführung gelangt wäre, wie das in unmittelbarer Nachbarschaft 1843 mit dem Bau des "Eisernen Hauses" in einer ähnlichen Situation am Südtirolerplatz demonstriert wurde. Das revitalisierte Gebäude vermittelt jetzt in seinem Erscheinungsbild eine sinnlose Ansammlung von pseudohistorischen Zitaten die ein vollkommen falsches Geschichtsbild vermitteln und das Bauwerk zum Musterbeispiel einer "Unarchitektur" degradieren, bei dem der letzte Originalbauteil (Kulissenfassade) in ein schiefes Licht geraten muß (Abb.2). Abb.2: Der "Greinitzhof" in Graz nach der "Revitalisierung" (1990) Das zweite Beispiel rangiert zwar von seiner Stellung her auf einer nicht zu vergleichenden Bedeutungsebene, wird aber hier wegen des vorbildlichen Charakters der "Istzustandserhebung", des Planungsprozesses und der Zeitgemäßheit des "Sollzustandes" vorgestellt. Der "Grand Louvre" in Paris wurde und wird seit 1981 einer grundsätzlichen Neuordnung, Sanierung und Revitalisierung unterzogen. Dieser Gebäudekomplex, der seit dem Ende des 12.Jhdt. mit der Geschichte Frankreichs eng verbunden ist, wurde 1848 dem Publikum geöffnet. Erst nach dem Auszug des Finanzministeriums ist seine Nutzung als Museumskomplex Grundlage des Planungskonzeptes geworden, das in vorbildlicher Weise von 1981 bis 1993 das gesamte Areal neu konzipiert. Mit dem Entwurf für den neu zu schaffenden Eingangsbereich (Foyer) wurde der amerikanische Architekt Ieoh Ming Pei beauftragt, der für den "Cour Napoleon" gegen anfängliche Widerstände seine gläserne Pyramide durchsetzen konnte (Abb.3). Abb.3: Der "Grand Louvre" mit der Eingangspyramide (Arch.I.M.Pei) Im Verlauf der Baumaßnahmen wurde auch die Gelegenheit ergriffen bei der Terminplanung eine eingehende archäologische Untersuchung zu gewährleisten, deren Ergebnisse (vor allem der Donjon des Philippe Auguste) in das Museumskonzept integriert wurden. Besucht man heute den Grand Louvre, dann sind die Vorteile dieser verantwortungsbewußten Planungsprozesse augenfällig. Die zeitgemäße Formensprache der neu geschaffenen Foyerzone wird ein wesentlicher Bestandteil des Gesamptkomplexses. Eine 800jährige Baugeschichte wird lebendig und selbstbewußt fortgesetzt (Abb.4). Abb.4: Der "Grand Louvre" / Foyerzone Kulturgut Dokumentation-Forschung / Referat zur Arbeitstagung 4. - 5.Oktober 1990 TU Graz - Inst.f.angew.Geodäsie und Photogrammetrie |
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