Das Kulturhaus-Haus der Jugend in Firminy
Holger Neuwirth


Das Kulturhaus -
Haus der Jugend un Firminy
Maison de la Culture et de la Jeunesse
Architekt: Le Corbusier

Ursprünglich als Haus der Jugend (Maison des Jeunes et de la culture) projektiert, wurde es später zum Kulturhaus (Maison de la Culture) erweitert; unter anderem um die Subventionsbasis zu vergrößern.
Setzungen nach dem Baubeginn im Jahr 1961 haben seine Fertigstellung bis 1966 verzögert.
Die Eröffnung hat im Oktober 1966 stattgefunden.
Dieses Haus besitzt eine Sonderstellung unter den Kulturhäusern, da auf Grund seiner Doppelfunktion auch das Ministeriurn für Jugend und Sport (Ministère de la Jeunesse et des Sports) als Subventionsgeber auftritt.
Im Normalfall werden die Ziele der Kulturhäuser und der Häuser der Jugend zu Unrecht gleichgesetzt. Abgesehen davon, daß die Häuser der Jugend dem Ministerium für Jugend und Sport unterstellt sind, haben sie andere Aufgaben zu erfüllen.
Sie wollen über eine manuelle Einführung mit den Ausdrucksmitteln einer Kultur die Jugend mit dieser vertraut machen. Zum Unterschied von den Kulturhäusern besteht das Raumprogramm in erster Linie aus Werkstätten, Ateliers, Spiel? und Klubräumen und einem Veranstaltungssaal für Amateuraufführungen. Für ihre Leitung sind Erzieher, Sportlehrer, aber keine Künstler verantwortlich. Als Idealforderung wird 1 Haus der Jugend für 10000 Einwohner genannt(1).

Standort

Firminy, eine aufstrebende Industriestadt mit ca. 27000 Einwohnern nahe Saint-Etienne, hat zwei Stadtplanungen für Firminy-Vert durchgeführt; eine erste, die in neun Jahren verwirklicht wurde, und eine zweite, die in Angriff genommen werden soll.
Ihre Absichten werden charakterisiert als:
* Schaffung der Grundlagen für ein neues Wohnen in menschlicher, familiärer und sozialer Hinsicht,
* Gestaltung der Umgebung, des städtischen Alltags. Gestaltung von Raum und Masse, von Form und Farbe; Wiederherstellung der geschichtlichen Grundlage durch Erneuerung der Anlagen, bei einer neuen Anordnung und Verteilung, da von den historischen Resten nichts mehr vorhanden war(2).
Drei Wohneinheiten, davon eine gebaut, das Stadion, das Kulturhaus und eine bereits geplante Kirche, werden aus Firminy die "Corbusier-Stadt" Frankreichs machen.

Das Kulturhaus

Zu Beginn wollte man das Haus der Jugend im Zusammenhang mit einer Tribüne für ein 10000-Personen-Stadion errichten.
Da es sich in der Folge herausstellte, daß dies nicht möglich war, wurde das Haus der Jugend gegenüber angeordnet. Le Corbusier hat aber die ursprüngliche Form trotz geänderter Situation beibehalten.
Der Doppelfunktion wurde weitgehend Rechnung getragen, jedoch wird von der Leitung des Hauses ein hohes Maß an Improvisation verlangt. Die Werkstätten und Ateliers für Jugendliche fungieren ebenfalls als Bühnennebenräume.
Ein elektro-akustisches Laboratorium soll zur Diskothek erweitert werden. Die Zugänge zu den Ateliers sollen Ausstellungen aufnehmen etc. Das Veranstaltungsprogramm könnte durch Freilichtaufführungen im Stadion, soweit es das Wetter erlaubt. ergänzt werden.

Raumprogramm

Ober eine Rampe an der Ostseite erreicht man den zentralen Eingangs- und Empfangsraum im 1. Stock. Ein Informationsschalter, dem Eingang schräg gegenüber, bietet dem Besucher alle notwendigen Auskünfte über das Haus und sein Veranstaltungsprogramm. Darüber hinaus soll er den Neuankömmlingen das Gefühl vermitteln, daß sie erwartet werden.
Der gleichzeitige Einblick In den Veranstaltungssaal, in das Foyer und in einen Wandelgang mit Sitznischen, der gleichzeitig als Ausstellungsraum und als Zugang zu den Ateliers dient, soll die Neugierde des Besuchers wecken, alle Möglichkeiten des Hauses zu erforschen.
An der rechten Seite schließt der Veranstaltungssaal an, dessen vertikalen Abschluß die konkave Dachuntersicht bildet.
Ohne zusätzliche Bestuhlung weist dieser Saal 250 Plätze auf, die in steil ansteigenden Sitzreihen an der Westseite angeordnet sind. Die szenischen Möglichkeiten sind so bescheiden, daß sich Inszenierungen anderer Kulturhäuser, die über ein Vielfaches an szenischer Ausrüstung verfügen, im Austauschweg hier nur mit Qualitätsverlusten wiederholen lassen. Bezeichnenderweise hat Firminy kein ständig an das Haus gebundenes Ensemble, wie alle übrigen Kulturhäuser. Ausgesprochen angenehm empfindet man das vollkommene Fehlen einer pompösen Zurschaustellung des Raumes, ein Verdienst, das für alle Räume des Hauses Gültigkeit besitzt. Dadurch können sich das Interesse und die ungestörte Aufmerksamkeit des Besuchers dem eigentlichen Ziel der Kulturhäuser zuwenden. Im großen erscheint derselbe Gedanke in der äußeren Erscheinung des Gebäudes, indem eine besondere Formidee mit den einfachsten und billigsten Materialien realisiert wird.

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Hauptfoyer (Veranstaltungssaal) im ersten Stock, durch zwei Geschosse gehend, Blick nach Norden.

Über einen Abgang im Empfangsraum wird die Verbindung mit dem Foyer im Erdgeschoß hergestellt. Dieser Raum, mit Bar, Kaminbereich, der sich in den ersten Stock öffnet, großzügigen Sitzgelegenheiten, soll dem Besucher die Entspannung bringen, die er braucht, damit ihm Kultur nicht zu einer Zwangsvorstellung wird. Der Doppelfunktion entsprechend, führt eine Außentreppe von hier auf die Sohle des Stadions hinunter. Auffallend ist die intime, fast private Atmosphäre dieses Raumes, die Gedanken an Zusammenkünfte Auserwählter aufkommen läßt.
Ein elektro-akustisches Laboratorium, das im zweiten Stock über das zentrale Stiegenhaus direkt erreichbar ist, soll in Verbindung mit den bestehenden Studios zur Leihdiskothek ausgebaut werden. Bis zum Südende des Gebäudes schließen sich Ateliers für Musik, Malerei und Bildhauerei an.
An der Schmalseite im Norden liegt, von außen direkt erreichbar, im ersten und zweiten Stock die Bibliothek mit Lesesaal und Lagerräumen. Wohl mit Absicht ist hier der individuellen Tätigkeit des Lesens in einer größtmöglichen Abgeschiedenheit Rechnung getragen. Ein Ausstellungssaal im 1. Stock stellt einerseits die Verbindung zum Veranstaltungssaal her, anderseits sind von ihm aus kleine Vortragssäle, ein Büro für die Verwaltung und ein Fernsehzimmer erreichbar, die auch als Bühnennebenräume (Garderoben) benützt werden können. Darüber im zweiten Stock sind ebenfalls Gruppenräume, darunter ein Bastelraum für Kinder, angeordnet.
Das Raumprogramm wird durch die notwendigen Sanitärräume, Heizraum und Lagerraum ergänzt.

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Grundrisse zweiter Stock, erster Stock, Erdgeschoß (von oben nach unten).

Legende:

1 Depot, 2/4 Elektrozentrale, 3 Heizung, 5 Toiletten, 6/7 Logen, 8 kleines Foyer, 9 Kamin, 10 Depot, 11 Werkstätte, 12 Bibliothek, 13/14 Klassenzimmer, 15 Versammlungsräume, 16 Verwaltung, 17 Fernsehen, 18 Hauptfoyer, 19 Luftraum, 20 Abstellraum, 21 Laboratotium, 20 Musik, 23 Malerei, 24 Plastik, 25 Toiletten, 26 Austellungsräume, 27 Toiletten, 28 Lesesaal, 29 Haushaltungssaal, 30 Lehrküche, 31 Kino (Atelier), 32 Elektrohörsaal, 33 Kinderbibliothek, 34 Atelier für Kinder, 35 Ausstellungsraum, 36 Atelier für fotografie, 37 Musikzimmer, 38 Modellierzimmer.

Veröffentlicht im Bauforum 20 / 3. Jahrgang 1970 / p. 25: Das Kulturhaus-Haus der Jugend in Firminy
Quellen:
1) S. André de Baecque: Les Maisons de la Culture, C 1967, Ed. Seghers, S. 22
2) Le Corbusier Vol. 8, 1970, Artemis Zürich; s. S. 12. Dort auch Beschreibung der Konstruktion.
Fotos H. Neuwirth 1969




1
Westfassade des Jugendhauses
.

2
Blick vom Jugendhaus nach NO auf die Neubauten von Firminy-Vert. Sie werden von einer Unité d'Habitation Corbusiers 
bekrönt.


3
Wandelgang mit Sitznischen im ersten Stock.


4
Modulor-Mann am Südende des Wandelganges im ersten Stock.


5
Eingangs- und Empfangsraum im ersten Stock mit Luftraum über dem kleinen Foyer des Erdgeschosses.


6
Der Kamin im Foyer des Erdgeschosses.
 
 
 
 


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