Eine Filmografie
mit persönlichen Anmerkungen
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DER
TIGER VON ESCHNAPUR IST NUR EIN PAPIERTIGER
1955 wurde ich von einem Freund zum ersten
Mal zu einer Vorführung des "Grazer Filmclubs" mitgenommen, die in
der Nähe des Hauptplatzes in einer Privatwohnung stattgefunden hat.
Dunkel ist die Erinnerung an den Ort und an die Clubmitglieder, erinnerbar
der tragbare 16mm-Projektor und die Blechbüchsen mit den Filmrollen;
lebhaft ist aber die Erinnerung an die Filme: "Der Tiger von Eschnapur"
und "Das indische Grabmal".
1955 wurde in Calcutta der erste Film
von Satyajit Ray "Pather Panchali" uraufgeführt, der bei den Filmfestspielen
in Cannes mit dem Preis für das humanste Dokument ausgezeichnet wird.
Mit "Aparajito" (1956) - der in Venedig 1957 mit dem goldenen Löwen
ausgezeichnet wird - und "Apu Sansar (1959) werden zwei Romane von Bhibuti
Bashan Bannerjee in einer Trilogie zusammengefaßt.
Keinen dieser Filme konnte ich bis heute
sehen. Zu sehen war aber der Tiger von Eschnapur und das Indische Grabmal,
vor allem in der nach dem Krieg von Fritz Lang gedrehten Neuauflage; ein
Film, der durch seine aufwendige Ausstattung Schlagzeilen gemacht hat -
nur durch seine Ausstattung. Diesen wollte ich nicht mehr sehen. Der Gegensatz
zu Rays ersten Filmen, die mit bescheidensten Mitteln realisiert wurden,
könnte nicht größer sein. Pather Panchali wird zu Gunsten
eines verlogenen Klischees vorenthalten. Für mich stellt sich die
Frage noch immer: Wie hat der Tiger von Eschnapur meine Vorstellung über
Indien mitgeprägt und wie hätte sich diese Vorstellung entwickeln
können, wäre an seiner Stelle Pather Panchali gestanden.
Heute weiß ich besser, was mir vorenthalten
wurde - ein Aufenthalt in Calcutta hat es mir ermöglicht, aus erster
Hand, zumindest in den äußeren Umrissen, ein authentisches Bild
zu gewinnen. Vorbereitet war ich durch "Calcutta"(1969) von Louis Malle,
ein "realistischer" Film, der sich bemüht Kulturschranken abzubauen
und Klischeevorstellungen einen Widerpart zu bieten; ein Film, der gerade
deswegen nicht den Weg nach Österreich gefunden hat.
"Der Tiger von Eschnapur"
"Das indische Grabmal
(1921),
Regie: Joe May (Joseph
Mandel), Drehbuch: Fritz Lang & Thea von Harbou;
Remake (1959), Regie:
Fritz Lang
"Pather Panchali"(1955)
"Aparajito" (1956)
"Apu Sansar 1959);
Regie: S.R. ; Musik:
Ravi Shankar
"Calcutta" (1969); Louis
Malle
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NACHBARSCHAFTSHILFE
Meine erste tatsächliche Begegnung
mit einem Film von Ray - noch dazu in der ungestörten Originalfassung
- verdanke ich dem grenzüberschreitenden jugoslawischen Fernsehen
(Laibach 1 und 2).
"Shatranj ka khilari / Die Schachspieler"
(1977), eine sensible Auseinandersetzung über die Exilierung des letzten
Mogulkaisers durch die Engländer mit Richard Attenborough in der Rolle
des englischen Generals. Unter dem Gesichtspunkt der Auseinandersetzung
Rays mit der Geschichte seines Landes gewinnt die "NS-und-andere-Ladenhüterpolitik"
des ORF kriminelle Bedeutung.
Dem jugoslawischen Fernsehen möchte
ich daher für die zahlreichen aktuellen Filme aus aller Weit - noch
dazu in Originalversion (aus welchen Gründen auch immer) - meinen
ausdrücklichen Dank aussprechen.
"Shatranj ka khilari"
(1977);
Regie: S.R., Gesang:
Reba Muhuri, Biriu Maharaj
3
UNE
SEMAINE DE PARIS - KINO A LA CARTE
Neben der "Cuisine francaise", die mindestens
eine Wallfahrt pro Jahr nach Paris rechtfertigt, bedeutet für mich
Paris die Möglichkeit, täglich das Angebot von 385 (dreihundertfünfundachtzig)
Kinos und der Cinemateque im Palais de Chaillot und im Centre Pompidou
zur Verfügung zu haben. Bei den 385 Kinos müssen vor allem die
"Art et Essai-Kinos" erwähnt werden, die nur auf Grund steuerlicher
Begünstigungen existieren können, aber in erster Linie die Vielfalt
des Angebotes gegenüber den mächtigen Verleihfirmen gewährleisten.
Eine Woche Paris erlaubt ein "Kino a la
carte". Der erste Weg nach der Ankunft führt mich zum nächsten
Zeitungskiosk, um eine "Semaine de Paris - Pariscope" (Programmübersicht
um 3FF) zu kaufen und im erstbesten Cafe ein verrücktes Kinoprogramm
a la carte für eine Woche Paris zusammenzustellen. Das Vormittags-
und Nachtprogramm erlauben bei extremem Heißhunger bis zu 5 Vorstellungen
täglich. Das kann ein Ausflug bis in die ersten Tage der Filmgeschichte
oder die Auseinandersetzung mit aktuellsten Filmereignissen bedeuten.
Zwei Filme möchte ich hier stellvertretend
für viele andere erwähnen, die entweder den Weg nach Österreich
gar nicht finden dürfen oder erst nach geraumer Zeit und verstümmelt,
wenn eine aktuelle Auseinandersetzung unmöglich geworden ist: "La
Blessure/Die Verletzung" von Ivan Passer, der in den USA gedreht wurde,
den ich um 1980 in Paris gesehen habe, über den ich aber keine genaueren
Daten habe und "Ran"(1985), der neueste Film von Akira Kurosawa nach King
Lear, eine französisch-japanische Gemeinschaftsproduktion.
Diese Pariswochen vermittelten mir in
der Folge auch die Begegnung mit Filmen von Ray. Neben "Charulata" nach
einer Erzählung von Tagore, vor allem "Devi" und besonders "Jalsaghar/Der
Musiksalon"; für mich ein absoluter "Insel-Film", das heißt,
der Film, den ich für ein Insel-Exil mitnehmen würde. Die dominante
Rolle der indischen Musik in den Filmen von Ray dokumentiert sich in Devi
durch Ali Akbar Khan und in Jalsaghar durch Vilayat Khan und durch das
Auftreten von Bismillah Khan.
"La Blessure" (1980?);
Regie: Ivan Passer
"Ran" (1985):
Regie: Akira Kurosawa.
"Jalsaghar" (1958)
"Devi" (1960)
"Charulata" (1964);
Regie: S.R.
4
EIN
BRIEF AN DEN WEIHNACHTSMANN - AN WEN SONST?
Obwohl ich dem Österreichischen Filmmuseum
seit den Abenden in der Gußhausstraße - in besonderer Erinnerung
ist die Yasujiro Ozu Retrospektive - verbunden bin, möchte ich zwei
Wünsche anmelden. Einmal eine Ausweitung des Programmangebotes mit
dokumentarischen und semi-dokumentarischen Filmen, eine intensivere Auseinandersetzung
mit dem "Realismus" zu Lasten des "Kunst- und Kultfilmes" und eine stärkere
Berücksichtigung der jüngeren Filmnationen. Mein zweiter Wunsch
ist die Überwindung der Schwierigkeiten für eine Zusammenarbeit
mit dem ORF (hier müßte dem Kulinarium des ORF das Handwerk
gelegt werden - bestimmt kein finanzielles Problem) mit der Vorstellung
eines österreichweiten Tele-Filmmuseums für Filme in ihrer originalen,
unverkürzten und unzensurierten Form; damit meine ich aber nicht die
"Alibi-Ladenhüter" am Sonntag vormittag. Prinzipiell muß es
doch möglich sein, dem übermächtigen Verleihgeschehen entweder
das Handwerk zu legen oder eine wirksame Konkurrenz gegenüberzustellen.
Die Exklusivität des Filmmuseums ist ein Widerspruch in sich.
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EIN MEDIUM IST EIN MEDIUM IST EIN MEDIUM
An Stelle eines Schlußwortes soll
die Liste der Filme von Satyajit Ray, die ich nicht sehen konnte, für
sich sprechen:
PATHER PANCHALI (1955) -
APARAJITO (1956) - PARAS PATHAR (1957) - APUR SANSAR (1959) - RABINDRANATH
TAGORE (1961) - TEEN KANYA (1961) - KANCHENJUNGA (1962) - ABHIJAAN (1962)
- MAHANAGAR (1963) - T W O (1964) - KAPURUSH O MAHAPURUSH (1965)
- N A Y A K (1966) - CHIRIAKHANA (1967) - GOOPI GYNE BAOHA BYNE (1968)
- ARANYER DIN RATRI (1970) - PRATIWANDI (1970) - S I K K I M (1971) - SEEMABADDHA
(1971) - THE INNER EYE (1972) - ASHANI SANKET (1973) - SONAR KELLA (1974)
- JANA ARANYA (1975) - B A L A (1976) - JOI BABA FELUNATH (1979) - HIROK
RAJAR DESHE (1980) - P I K O O (1980) - LA MAISON ET LE MONDE (1984)
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POST SCRIPTUM - DREI ZITATE
(1)".............Lethargie ist ein milder
Ausdruck für die Einmütigkeit, mit der man hierzulande - Ausnahmen
bestätigen die Regel - dem Film das Recht auf künstlerischen
Ausdruck vorenthält. Die interessantesten Filme werden überhaupt
nicht eingeführt oder erreichen das Wiener Publikum nur in verstümmelter,
d.h. synchronisierter Form. KeinWunder, daß ihr sporadisches Auftauchen
nicht imstande ist, einer depravierten Vergnügungsindustrie das Maß
ihrer Banalität vor Augen zu halten und sie zur Besinnung zu bringen.............."
(WH. 1963)
(2)"..............Ein "Kunstschaffen"
wird erfunden, das man als Definition der Freiheit ausgibt, doch solches
"Schaffen" hat seine Grenzen die unsichtbar bleiben, bis man dagegen stößt,
will sagen: bis man auf die realen Probleme des Menschen und seiner Entfremdung
stößt. Sinnlose Angst oder vulgärer Zeitvertreib bilden
bequeme Ventile für die menschliche Unruhe; man bekämpft die
Idee, aus der Kunst eine Waffe zur Denunziation und Anklage zu machen.
Werden die Spielregeln respektiert, dann
erhält man alle Ehren; die gleichen, die ein Affe empfängt, wenn
er Pirouetten erfindet. Die Bedingung ist nur, keinen Versuch zu unternehmen,
dem unsichtbaren Käfig zu entkommen ..........................."
(Ch.G. 1965)
(3)"...............Das Ziel der Kunst,
das Ziel eines Lebens kann nur darin bestehen, die Summe von Freiheit und
Verantwortung, die in jedem Menschen und in der Welt liegt, zu vergrößern.
Es kann unter keinen Umständen darin bestehen, diese Freiheit selbst
vorübergehend zu vermindern oder aufzuheben ............................."
(A.C. 1961)
Quellen: Satyajit Ray / Ecrits sur le Cinema
(Foto 01);1982
Fotos 02-21 H. Neuwirth 1975 |
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